Die Bäume verlieren ihre Blätter und mit der dahinwelkenden Natur werden auch die Gedanken der Menschen auf ihre Toten gelenkt. Daher tritt in den Winternächten ein weiterer Aspekt hervor, der in den Sommermonaten, sowie der gesamten hellen Jahreshälfte, weniger im Vordergrund steht – die Ahnenehrung. Das Vergängliche liegt nebelschwer über dem Land und lässt in manchen Momenten die Konturen zwischen den Welten verschwimmen. Das Ahnengedenken nimmt im germanisch-heidnischen Glauben eine zentrale Rolle ein. Es ist der Ausdruck von Ehrerbietung, Dankbarkeit und Verbindung zu jenen, die vor uns lebten – unseren Ahnen, die durch ihr Leben und ihr Handeln Teil unserer eigenen Existenz geworden sind.

Das Ahnengedenken, die Verbindung zu unseren Wurzeln
Im germanischen Heidentum galt der Mensch niemals als isoliertes Individuum. Jeder stand in einer langen Kette aus Vorfahren und Nachkommen – ein lebendiges Glied im großen Gewebe der Sippe. Die Ahnen waren nicht tot im modernen Sinne, sondern wirkten fortan in der Welt der Ahnengeister.
Diese Vorstellung drückte sich in der Überzeugung aus, dass die Kraft (Hamingja) einer Familie über Generationen weitergegeben werden kann. Wer seine Ahnen ehrt, steht in Verbindung mit dieser fortwirkenden Kraft und kann von ihr Schutz, Rat und Stärke empfangen.
Das germanisch-heidnische Ahnengedenken verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem heiligen Kreis. Es zeigt uns, mit Respekt auf das zu schauen, was war, um bewusst das zu gestalten, was kommt. In einer Zeit, in der viele Menschen ihre Wurzeln verloren glauben, kann das ehrliche, herzliche Erinnern an die Ahnen zu einer Quelle tiefer Erdung und innerer Kraft werden. Es stärkt die eigene Identität, das Gefühl von Zugehörigkeit und Verantwortung gegenüber der Linie, aus der man stammt. Und es erinnert uns auch daran, dass wir selbst eines Tages Ahnen sein werden – und dass unser Handeln Spuren hinterlässt.
Die Winternächte – Begrüßung der dunklen Jahreshälfte
Die germanischen Winternächte (altgermanisch: Vetrnætr) sind ein altes heidnisches Fest, das den Beginn des Winters kennzeichnet – und oft auch als zweites Dísáblót im Jahr bezeichnet wird. Die Nächte sind schon empfindlich kalt, je nach Lage friert es nachts bereits. Der Winterbeginn führt uns die Vergänglichkeit vor Augen. Unsere Tätigkeiten richten sich jetzt mehr nach innen, einerseits auf das häusliche Leben bezogen, andererseits aber auch auf uns selbst. Ganz pragmatisch lässt sich das auch im eigenen Garten beobachten: Wer eigenes Obst und Gemüse anbaut und über das Jahr mit verschiedenen Arbeiten an Haus und Hof beschäftigt ist, weiß, dass sich die Schaffenskräfte im Frühjahr zunehmend draußen entfalten, während sie sich gen Winter mehr und mehr nach drinnen verlagern.

Verschiedene Götter stehen im Mittelpunkt der Winternächte:
- Freyr, Freyja: Erntedank und Bitte um Fruchtbarkeit
- Disen, Alfen, Hel, Odin: Ahnenverehrung und Verbindung zu den Toten
- Thor, Odin: Stärke, Ordnung, Schutz für den Winter
- Odin, Freyja: Übergang, Weisheit und Führung durch die dunkle Zeit
Freyr (für Fruchtbarkeit, gute Ernte, Frieden und Wohlstand): die Ernte war gerade eingebracht und man dankte Freyr für das vergangene Jahr und bat um Fruchtbarkeit für das kommende.
Freyja (für Liebe, Fruchtbarkeit, Ehre ihres Ahnenanteils, denn sie nimmt die Hälfte der Gefallenen): Als Göttin mit Verbindung zu Tod und Wiedergeburt passt sie in die Übergangszeit, wo man auch die Ahnen ehrt.
Odin (Wodan, Herr der Toten, der Ahnen, der Ekstase, der Weisheit): Während der Winternächte und besonders im Vorlauf zur Wilden Jagd (um Jul) ruft man Odin an, um Schutz, Erkenntnis und Verbindung zu den Ahnen zu suchen.
Frigg (für Schicksal, Familie, Heim und Schutz): Als Mutter- und Schutzgöttin wird Frigg angerufen, um das Haus durch die kalte Jahreszeit zu schützen. Sie wird angerufen, um häusliche Geborgenheit zu sichern.
Disen und Alfen (Disen als weibliche Schutzgeister und Alfen als Ahnengeister): Das sogenannte Dísablót und Álfablót wird um die Winternächte gefeiert – beides Feste zur Ehre der Ahnengeister und der Schutzwesen der Familie.
Hel (Göttin der Unterwelt, der Ruhe und der Toten): In der dunklen Jahreszeit, wenn Leben und Tod näher beieinander liegen, wird Hel angerufen, um Schutz vor Krankheit und Tod zu erbitten – und um den Ahnen Frieden zu wünschen.
Thor (für Schutz, Ordnung, Stärke): Wenn Stürme und Dunkelheit beginnen, ruft man Thor um Schutz für Haus und Hof.

Ritual der Winternächte – Beginn des Winterhalbjahres
Im Mittelpunkt des Winternächteblóts stehen Ahnenehrung, Abschluss des Sommers, Dank für die Ernte, Ahnenverehrung und Bitte um Schutz im Winter.
Eröffnung
Nun senkt sich der Sommer, der Winter beginnt.
Ich rufe die alten Götter, die Ahnen, die Disen,
seid willkommen in dieser Nacht der Wandlung.
Anrufung der Götter zu den Winternächten
Die Sonne sinkt, die Nächte wachsen,
Nebel ruht auf Wald und Flur.
Jetzt kommen die Winternächte,
Zeit der Stille.
Wir rufen die Götter, wir ehren die Ahnen,
wir grüßen Euch im Kreis der Zeit.
Möge Euer Segen uns umfangen,
durch Dunkelheit und Ewigkeit.
Wodan, Wanderer der Wege,
Herr der Raben, Herr der Runen,
Lenker der wilden Jagd durch Nacht und Sturm.
Gib uns Weisheit in der Dunkelheit,
und den Mut, in Schatten zu schauen.
Führe unsere Geister sicher
durch den Winterpfad der Seelen.
Freyja, goldene Herrin,
Trägerin der Brísingamen,
Führerin der Gefallenen, Weberin des Schicksals.
Schenke uns Liebe, Stärke und Zauber,
tröste die Herzen, die trauern,
und wache über Heim und Herd,
bis das Licht zurückkehrt.
Freyr, Sohn des Njord,
Herr des Friedens und des Erntesegens,
König des goldenen Jahresrads.
Für deine Fülle danken wir,
für Korn und Frucht, für Tier und Baum.
Segne uns mit Frieden und Hoffnung,
bis neues Leben wiederkehrt.
Frigg, Mutter des Hauses,
Weberin des Schicksalsfadens,
Hüterin von Heim und Herd.
Breite deinen Mantel über uns,
bewahre uns in kalter Nacht,
halte Familie und Freunde vereint,
bis der Frühling wieder lacht.
Donar, starker Beschützer,
Hammerträger, Feind des Unheils.
Steh uns bei in Stürmen und Frost,
wehre, was droht, in Dunkel und Traum.
Dein Donner sei unser Schild,
dein Feuer unsere Kraft.
Heil den Disen, Ahninnen unserer Sippe,
Heil den Alben, Hütern des Landes.
Tretet zu uns, in Dampf des Opfers, im Glanz der Kerzen.
Wir bringen euch Trank und Brot,
Dank für Schutz und alte Treue.
Dank für die Ernte
Lege Brot, Früchte oder etwas, das du geerntet hast, auf den Altar.
Für das, was gewachsen ist, danke ich.
Für das, was mir gegeben wurde, danke ich.
Möge es reichen durch den Winter,
und möge Frieden herrschen in Haus und Herz.
Ehrung der Ahnen
Blicke in die Flamme und denke an deine verstorbenen Angehörigen und Vorfahren.
Ihr, die vor mir wart, eure Wege trage ich weiter.
Ich ehre euch in dieser Nacht,
und bitte um euren Segen und Schutz.
Gieße etwas Met, Wein, Bier oder Wasser auf die Erde:
Dies sei euch geweiht.
Bitte um Schutz und Frieden
Winter kommt, mit Kälte und Stille.
Möge mein/unser Heim geschützt sein, mein Herz stark
und meine Familie gesund.
Freyr, schenke uns Fülle und Fruchtbarkeit.
Odin, leite unsere Träume.
Disen, hütet uns in der Dunkelheit.
Schluss und Dank
Vergrabe oder verstreue die Opfergaben draußen als Dank an die Erde.
Was gegeben wurde, sei geheiligt.
Was gesprochen wurde, sei gehört.
So endet das Fest der Winternächte –
der Winter möge gut und gnädig sein.
So stehen wir im Kreis des Jahres,
zwischen Licht und Dunkelheit.
Götter und Ahnen, hört unser Rufen,
seid uns nah in dieser Zeit.
Möge Friede in unseren Hallen wohnen,
und Kraft in unseren Herzen.
Heil den Göttern! Heil den Ahnen! Heil den Winternächten!









