Der grüne Wald erwacht zu neuem Leben

Im Kreis der uralten Steine…

Es ruht der Wald im heil‘gen Schwur –
in neuer Kraft und Blütenspur.
Ein Frühlingslied, von Göttern webt,
aus alten Zeiten neu erlebt.

Es schreitet Frey mit sanftem Tritt,
sein Atem zieht das Leben mit.
Wo er verweilt, wächst neues Sein,
in Moos und Wald, in goldnem Schein.

Wie Freyja folgt, im Kleid aus Glanz,
ihr Lächeln fließt wie Frühlingskranz.
Sie singt dem Wald von Lust und Mut,
von Wandel, Blüte, Herz und Blut.

Die Geschwister Frey und Freyja erinnern uns daran, dass der Frühling nicht nur eine Jahreszeit ist, sondern ein heiliger Zustand des Werdens – ein Moment, in dem Altes vergeht und Neues mit göttlicher Kraft durchbricht – sie verkörpern diese Zeit des Erblühens.

Frey, Gott des Wachstums, des Regens und der Fruchtbarkeit, wird oft mit den blühenden Feldern, wachsenden Pflanzen und dem Frieden der Natur verbunden. Der grüne Wald im Frühling ist sein Reich – ein Sinnbild seiner lebensspendenden Kraft.

Freyja, Göttin der Liebe, Schönheit und des Lebenszyklus, wandert wie ein goldenes Licht durch das Geäst. Sie bringt nicht nur Leidenschaft, sondern auch eine tiefe Verbundenheit zur Natur mit sich – der Wald ist auch ein Spiegel ihrer wilden, freien Seele.

Letztes Jahr schrieb ich einen ähnlichen Beitrag Erde (2) in dieser Zeit, in dem ich das prächtige Farbenspiel in Verbindung mit Freyja und Freyr hervorhob. Es ist eine einzigartige und auch nur kurze Zeit, die sich jetzt im Jahreslauf erleben lässt. Daher ist es ratsam, sich ruhig einen Moment Zeit zu nehmen, um diesen Abschnitt im Jahreszyklus bewusst auf sich wirken zu lassen. Denn wie im Nu steht die Natur im vollen Kleid und das Wirken der göttlichen Kräfte hat sich voll entfaltet. Dann steht mit dem Maivollmond nämlich auch schon das Sigrblót vor der Tür, wo wir die grundsätzlichen Weichen und Wegmarken für diesen Jahreskreis gelegt haben sollten.

Den Wuchs lenkt das Wetter

Traue nicht dem frühbesäten Acker, sagt ein Eddaspruch (Hávamál 88), denn veðr ræðr akri, was soviel heißt wie… den Wuchs lenkt das Wetter.

Früher war es so, dass die Ernte nicht das Ergebnis einer Produktionsschlacht gewesen ist, sondern eine Gabe, die dem mitunter von Entbehrungen geprägten Dasein mühsam abgerungen werden musste. Dafür war mancherlei Segen nötig; der Segen der Götter, welche beim Frühlingsopfer angerufen wurden, die huldvolle Hilfe der Landwichte und anderen Wesen in Feld und Flur und zuletzt auch das Wohlwollen der freundlichen Ahnengeister. Dieser Segen war notwendig, um die Gabe der oft harschen Umwelt abzutrotzen – einer Umwelt, in die plötzlich feindliche Mächte einbrechen konnten: übermäßige Dürre oder starke Nässe, Hagelschlag und Gewitterstürme, Überschwemmungen oder Bergsturz können in einem Augenblick die Aussicht auf eine gute Ernte zunichte machen.

Auch heute erleben wir noch dieses Zusammenwirken mit der Natur, sei es auf dem Hof und im Garten oder bei kleinen wie großen Pflanzen. So wird das alltägliche Leben zwar noch nicht zu einer fortwährenden heiligen Handlung, aber es bekommt in einigen Momenten doch eine gesteigerte Intensität, die unmittelbar in die Sphäre der Götter hineinreicht. Daher wird der Lauf des Jahres – und des Lebens – von althergebrachten Kulthandlungen begleitet, die in den bedeutungsvollen Augenblicken in feierliche Feste münden. Im Grunde kann man sagen, dass im profanen Alltag immer auch ein Hauch des religiösen Erlebnisses im Hintergrund mitschwingt. Das nimmt man oft gar nicht wahr, weil Arbeit, Anspannung und Beschäftigung in den Vordergrund rücken. Doch hin und wieder erscheinen diese kurzen Momente, die die Aussicht auf den sonst verhüllten Hintergrund aufreißen.