Vorernte & Kräuterzeit

Die Zeit vor der Ernte ist längst angebrochen und zumindest bei uns im Nordosten geben Sonne, Himmel und Erde der Reife noch einen Moment, sofern nicht Hræsvelgr, der riesige Adler in den Weiten Yggdrasils, der mit seinen mächtigen Schwingen den Wind erzeugt, zu sehr an den Früchten zerrt.

Freyr schütze Wachstum und Ernte

Dann fällt natürlich noch das eine oder andere Exemplar zu Boden. Da jedoch auch Freyr für fruchtbarkeits- und wachstumsförderndes Wetter und guten Wind zuständig ist, möge er seinen Teil dazu beitragen. Was sich in unserem Naturgarten, aber auch an vielen anderen Stellen, sehr förderlich entwickelt, sind die vielen Kräuter der Sommerzeit. Schafgarbe, Rainfarn, Beifuss und Spitzwegerich sind überall zu entdecken, um nur mal einige zu nennen. Diese eigenen sich ausgezeichnet, um sie getrocknet als Grundbestandteil für eine wohltuende und duftende Räuchermischung zu verwenden.

Rainfarn ist eine robuste Pflanze, die fast überall vorkommt

Beim Durchstreifen unseres Gartens habe ich mir überlegt, dieses Jahr mal wieder so eine Räuchermischung herzustellen. Es ist ja nicht schwer, aber die letzten Jahre habe ich oftmals drauf verzichtet, weil wir noch so viel anderen Räucherkram im Schrank haben. Wie auch immer. Jedenfalls kommen noch hinzu: Wildkirsche (nicht Tollkirsche), Eibe, Efeu, Wacholder, Moos, Eiche, also mithin auch einige Bestandteile, mit denen es ratsam ist etwas vorsichtiger umzugehen.

Die Wildkirsche, auch Vogelkirsche oder Waldkirsche genannt, ist die Ausgangsform der meisten Süßkirsch-Kulturformen. Sie wächst bei uns von Natur aus im Garten und war sozusagen sogar vor uns hier.
Eibe
Wacholder

Über die Räuchermischung Naturgarten & Heiligtum schreibe ich noch in einem separaten Beitrag, welche Runen ich welchen Pflanzenpaaren zuordne. Beispielsweise sind Eibe und Efeu ja klassische Heiligtums-Pflanzen, sicherlich auch Hasel und Wacholder, oder Holunder, der allerdings auf unserem sandigen Boden leider nicht gekommen ist.

Den Wuchs lenkt das Wetter

Traue nicht dem frühbesäten Acker, sagt ein Eddaspruch (Hávamál 88), denn veðr ræðr akri, was soviel heißt wie… den Wuchs lenkt das Wetter.

Früher war es so, dass die Ernte nicht das Ergebnis einer Produktionsschlacht gewesen ist, sondern eine Gabe, die dem mitunter von Entbehrungen geprägten Dasein mühsam abgerungen werden musste. Dafür war mancherlei Segen nötig; der Segen der Götter, welche beim Frühlingsopfer angerufen wurden, die huldvolle Hilfe der Landwichte und anderen Wesen in Feld und Flur und zuletzt auch das Wohlwollen der freundlichen Ahnengeister. Dieser Segen war notwendig, um die Gabe der oft harschen Umwelt abzutrotzen – einer Umwelt, in die plötzlich feindliche Mächte einbrechen konnten: übermäßige Dürre oder starke Nässe, Hagelschlag und Gewitterstürme, Überschwemmungen oder Bergsturz können in einem Augenblick die Aussicht auf eine gute Ernte zunichte machen.

Auch heute erleben wir noch dieses Zusammenwirken mit der Natur, sei es auf dem Hof und im Garten oder bei kleinen wie großen Pflanzen. So wird das alltägliche Leben zwar noch nicht zu einer fortwährenden heiligen Handlung, aber es bekommt in einigen Momenten doch eine gesteigerte Intensität, die unmittelbar in die Sphäre der Götter hineinreicht. Daher wird der Lauf des Jahres – und des Lebens – von althergebrachten Kulthandlungen begleitet, die in den bedeutungsvollen Augenblicken in feierliche Feste münden. Im Grunde kann man sagen, dass im profanen Alltag immer auch ein Hauch des religiösen Erlebnisses im Hintergrund mitschwingt. Das nimmt man oft gar nicht wahr, weil Arbeit, Anspannung und Beschäftigung in den Vordergrund rücken. Doch hin und wieder erscheinen diese kurzen Momente, die die Aussicht auf den sonst verhüllten Hintergrund aufreißen.