Heimdall der Wächter

Vor einiger Zeit las ich den interessanten Vierzeiler, den man auch als Gelassenheitsspruch (oder Gelassenheitsgebet) kennt und der mich zu einigen Gedanken anregte. Es geht im Grunde nicht allein um die Gelassenheit oder ein Akzeptieren, sondern um die richtige Entscheidung, an welchen Linien entlang die verschiedenen äußeren Einflüsse nur in Beobachtung stehen, und wo sie in das eigene Handlungsfeld eindringen.

Die Zeilen stammen vom amerikanischen Philosophen und Theologen Karl Paul Reinhold Niebuhr und sind  eigentlich im christlichen Kontext entstanden. Es geht darum, jene Dinge voneinander zu unterscheiden, die im direkten eigenen  Einflussbereich liegen, im Gegensatz zu denen außerhalb des Bereichs, also worauf man nur wenig oder keinen Einfluss hat. Wobei es natürlich so ist, dass vieles wiederum auf uns eine Wirkung hat. Eben auch jene Dinge, die wir kaum oder gar nicht direkt beeinflussen können. Ein allgemeingültiges Thema, das sich aber auch mit Aspekten von Heimdall in Verbindung bringen und diskutieren lässt.

Denn Heimdall ist unter den Asen jener Gott, der auf Grund seines ausgezeichnetes Gehörs und seiner scharfen Augen das Wächteramt einnimmt und durch seine Beobachtungsgabe vieles sieht und ertragen muss, was er nicht verändern kann.

Somit der auf Heimdall abgewandelte Vierzeiler:

Heimdall, spende mir Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Denn es ist doch so, dass sich tagtäglich viel Irrationales und Irrsinniges abspielt, was sich der Ratio verschließt und meinen persönlichen Sichtweisen zuwider läuft. Dies wird sicherlich vielen Menschen so gehen, ohne im Einzelnen darauf einzugehen, um welche Sichtweisen es konkret geht. Und einige werden mir sogar zustimmen, dass der Irrsinn eher zunimmt, als abnimmt. Allerdings war ich dieser Auffassung schon immer und habe auch schon vor 10, 20 oder vielleicht 30 Jahren so gedacht. Wie also damit umgehen? Man könnte in das Klagelied der Unzufriedenheit einstimmen, doch ändert das nichts. Das Irrsinnige wird weitergehen und jeder kann nur bedingt Einfluss nehmen. Zuerst lässt sich im eigenen Wirkungskreis direkt Einfluss ausüben, also dort wo das Eigene und Private beginnt. Die hygienische Grenze der eigenen vier Wände, des eigenen Haus und Hofes, der Familie, des Freundeskreises… Doch irgendwo kommt wieder die Grenze, wo wir das Unerklärliche ertragen müssen.

Das Unerklärliche, das den eigenen Interessen zuwider läuft, wird nicht aus der Welt verschwinden.

Das bedeutet aber auch nicht, nichts zu tun. Sich den Dingen gegenüber neutral beobachtend gegenüberzustellen bedeutet zu unterscheiden, wann Handlungen und Maßnahmen erforderlich sind und wann nicht. Heimdall in seiner Rolle als Wächter sitzt an der Himmelsbrücke Bifröst und bewacht die Asenbrücke Ásbrú vor den Riesen, also den feindlichen oder zumindest schwer oder nicht zu beherrschenden Kräften. Er muss entscheiden, wie nah er sie heranlässt.

Zyklus und Übergang

In den letzten Monaten schrieb ich oft von Zyklen, zyklischen Vorgängen und Vorstellungen. Heute möchte ich dazu nur ein paar Gedanken einstreuen und ein humorvolles Praxisbeispiel liefern.

Zyklus kommt aus dem Griechischen (kyklos) und bedeutet soviel wie „Kreis“ oder „Kreislauf“ und bezieht sich damit auf einen Vorgang, der partielle Veränderungen mit sich bringt, dabei aber immer wieder zu seinem Ausgangs- bzw. Anfangspunkt zurückkehrt.

Damit spielen zyklische Vorstellungen und Bilder besonders in traditionalen Kulturen eine zentrale Rolle: Im steten Kreislauf aller Dinge entsteht aus dem Ende eine neue Frucht, die zur Reife kommt, sich von jenem ablöst, das sie hervorgebracht hat, um dann wiederum die Voraussetzung für etwas Neues zu werden. Auf diese Weise ergibt sich ein ewiger Übergang vom Alten zum Neuen.

Um jetzt ein wenig von der Theorie in die Praxis zu kommen sei erwähnt, dass ich letztes Jahr wieder angefangen habe selber Met zu machen. Über die Jahre habe ich zwischendurch eigentlich immer mal den einen oder anderen Gärballon angesetzt, bis ich vor einiger Zeit nicht mehr so richtig Lust dazu hatte. Nun haben wir hier bei uns auf dem Land überall gute Imker – und vielleicht gab es dabei so eine Art Schlüsselmoment. Jedenfalls kam mir passend dazu eine Idee, wie ich den Met in unserem Erdkeller am Besten aufbewahre. Und so begann ich von der Sommersonnenwende 2023 an in jedem Jahresabschnitt eine Gärung Honigwein anzusetzen, so dass ich jetzt zur Sommersonnenwende 2024 exakt einen Jahreszyklus abgeschlossen habe.

Und das sieht dann so aus…

Zeitlich mit dem neuen Sonnwend-Met 2024
Davor wurde der Frühlings-Met 2024 abgefüllt
Vor dem Frühling liegt der Winter, somit der Wintersonnwend-Met 2023
Davor liegt der Herbst-Met 2023
Und der Zyklus beginnt mit dem Sommersonwend-Met 2023

Diese kleine Anekdote mit einem humorvollen Augenzwinkern. Denn zugegeben… ich hatte das ursprünglich gar nicht vor gehabt. Hat sich einfach so ergeben. Doch um so besser. Meine Frau fragte mich allerdings, wer das denn alles trinken soll… Da wird mir sicher auch noch eine Idee kommen.

Und apropos Erdkeller und Met – direkt neben den Kisten wacht kein geringerer als…

Der Wanderer im blauen Gewand.

Mittsommer

Mit der Sommersonnenwende ist der solare Höhepunkt erreicht – Licht und Wärme in Hülle und Fülle. Und auch wenn die sommerlichen Temperaturen erst noch so richtig bevorstehen, ist die Sommersonnenwende als längster Tag ein Wendepunkt. Drei Runen passen gut dazu.

Die drei Runen Dagaz, Othala und Fehu umreißen das Geschehen: Dagaz steht für die Sonnenwende selbst. Dagaz symbolisiert den flüchtigen Charakter des Festes: Die Sonnenwende ist eine Übergangszeit, genauso wie die Dämmerung, die die Nacht vom Tag trennt. Sie ist auch eine Schwelle nach deren Überschreitung die Tage kürzer werden. Das Land (Othala) steht in Blüte und Reife und ist fruchtbar (Fehu). Fehu steht aber auch für eine Polarisation zwischen Werden und Vergehen, auch hier das Symbol des Übergangs. Das Wachstum ist an seinem Höhepunkt angekommen, es herrscht Fülle und Reife.

Es ist einfach schön: Licht und Helligkeit sind allgegenwärtig. Von der frühen Morgenstunde bis in den späten Abend beherrschen Farben und Vielfalt den Tagesablauf.

Begrüßung der hellen Jahreshälfte

Hohe Asen und Vanen, hohe heilige Götter
euch sei zu Ehren erhoben dieses Horn,
den Bund zu stärken und mit Kraft zu erfüllen.

AR OK FRIDR

Odin und Frigg
Tuisto und Jörd
Freyr und Freyja
Thor und Sif
Balder und Nanna
Bragi und Idun
Loki und Sigyn

AR OK FRIDR

Delling, Forseti, Heimdall, Hermod, Hödr, Hönir, Lodur, Mani, Óðr, Ullr, Vali, Vidar

AR OK FRIDR

Eir, Fulla, Gefion, Gna, Hel, Hlin, Hnoß, Lofn, Ostara, Ran, Saga, Skadi, Sunna, Syn, Thrud, Var, Vör

Euch sei zu Ehren erhoben dieses Horn,
den Bund zu stärken und mit Kraft zu erfüllen.

AR OK FRIDR